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Katrin Stender trifft Immanuel Kant

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Mixed Media, 24 x 34 cm, 2013

Katrin Stender hat mich darum gebeten, etwas über ihre Bilder und die Skulpturen von Dagmar Bremer zu sagen. Ich habe mich für die Ehre bedankt, aber leider verstehe ich nichts von Kunst. Das macht nichts, sagte Katrin, bei dir klingt es immer so interessant. Diesem Argument hatte ich nichts zu entgegnen. Ich schaute also nach, was andere bei Kunst-Besprechungen sagen und ich war ziemlich überrascht zu entdecken: in der Regel wird zitiert. Gut, das kann ich auch. Aber wen sollte ich zitieren? Es ist von Vorteil, wenn die Zitaten mit dem Kunstwerk etwas zu tun haben. Am besten wäre also, die Künstlerin erzählen mir, worum es in ihrer Kunst ginge. Katrin spricht oft von Gegensätzen und von Grenzen in ihrer Kunst und dass das moderne Bild eine klare Aussage vermeiden soll. Daher sucht sie immer nach dem inneren Widerspruch. Ich kenne Katrin schon sehr lange und daher kann ich bezeugen, sehr lange muss sie da nicht suchen. Ich fange mit dem Begriff Begrenzung an: Was kann man darunter verstehen? Ich fand ein Zitat von Wittgenstein: ”Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt”. Vielleicht kann man diese Aussage aus dem Sprachmedium in die Kunst transformieren. Also nahm ich sein Buch ”Tractatus logico philosophicus” um zu sehen, was er genau sagt und inwiefern seine Aussage Katrins Arbeit trifft. Und glaubt mir, ihr wollt das Buch nicht lesen. Der Mann hat noch ein Zitat: ”Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen”. Da war mir klar, es wäre besser, ihn gar nicht zu erwähnen. Außerdem ist hier im Publikum Peter, der Musiker, und der hat Wittgenstein studiert. Er würde sofort riechen, wenn hier geschummelt würde. Vielleicht lieber Emmanuel Kant zitieren. Den verstehe ich auch nicht, aber wer tut das schon? Somit kann jeder unter Kant verstehen, was er will, und man muss es gar nicht erklären . Wer würde es wagen, Kant zu kritisieren? Der Typ hat auch ein Buch geschrieben, ”Kritik der reinen Vernunft ” Auf den ersten Blick hat es mit Kunst nicht viel zu tun, aber er hat eine These, dass man ohne Vernunft nicht leben kann, und diese Vernunft ist leider begrenzt. Das könnte ich ihm zwar auch ohne so ein Buch sagen, Aber wichtig war, dass er auch über Grenzen sprach, und er hat auch eine Frage gestellt: Was machen wir mit der Vernunft unter diesen unglücklichen Umständen in denen wir leben? 

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Es gab einen Vorschlag der Positivisten, alles was außerhalb unserer Ratio liegt, als nicht relevant zu betrachten, und am besten zu ignorieren. Nach diesen Kriterien muss die Kunst als Alererstes gestrichen werden. Dieser Vorschlag gefiel Kant nicht. Er redete nicht explizit von Kunst, aber für ihn waren gerade die Fragen außerhalb der Grenzen der Vernunft die wichtigsten. Und hier trifft Katrin Stender Immanuel Kant. Da war ich selbst überrascht. In ihrer Arbeit geht Katrin ins Risiko und hofft, dass der Prozess sich verselbständigt und sich aus eigener Kraft weiter treibt. Sie verzichtet bewusst auf Klarheit zu Gunsten von Erfahrung und Empfindung – Lust und Unlust. Sie versucht Dinge zusammenzubringen, die nicht zueinander gehören. Das Unkontrollierbare unter Kontrolle zu bekommen, so wie Wagner es mit der Musik machte, oder wie beim Tangotanzen – den Katrin übrigens auch so gut beherrscht. Dieser Prozess, der voller erotischer Spannungen ist und von der ewigen Konfrontation zwischen Ordnung und Chaos begleitet wird, ist zum Scheitern verurteilt. Aber gerade dann wird es interessant. Diese Spannung bedeuten Leben. Eine Schöpfung, wie das Universum selbst. Wenn sie nicht gibt, gibt es Garnichts mehr. Zusammen mit den Arbeiten von Katrin Stender sehen wir die Skulpturen von Dagmar Bremer. Man kann die Frage stellen, warum die beide zusammen? Gut, sie sind gute Freundinnen und das muss reichen. Aber auch hier ist die Rede von Gegensätzen. Katrins Arbeit fängt an mit einer weißen Leinwand. Dazu hat sie nur ihre eigenen Gedanken. Sie kann alles machen. Jede Entscheidung wird genauso richtig wie auch falsch. Dagmar wird eine Idee schon mit dem Ausgangsmaterial zugespielt. Ein Stück Holz oder ein Stein haben eine gewisse Ordnung und schlagen eine Richtung vor.

Zwischenzeit

Zwischenzeit

Dagmar muss allerdings noch entscheiden, ob sie damit oder dagegen arbeitet. Sie versucht zu verstehen, was das Holz ihr sagt. Nicht unbedingt: ”Guten Morgen, Dagmar, wie geht es dir? Kaffee oder Tee?” Es geht um die Struktur des Materials, die Oberfläche, rau oder glatt. Es geht auch um Eleganz und Ästhetik. Da kann man Dagmars Hintergrund als Architektin wieder entdecken. Beide Künstlerinnen beschäftigen sich mit Köpfen, mit Lust und Charakteren. Und beide üben harte Kritik, nicht nur gegenseitig, sondern auch am eigenen Werk.

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