1938 reiste der 18jährige Abiturient Fritz Stender nach Japan, wo er ein Praktikum in der Wirtschaftsabteilung des Auswärtigen Amts bestritt. Während dieses Aufenthalts teilte sich der junge Hamburger ein Zimmer mit der japanischen Studentin Aiko Hamabei im Stadtzentrum von Tokyo. 1939, zu Beginn des Kriegs, musste er zurück nach Deutschland. Ein halbes Jahr später brachte Aiko ein Mädchen zur Welt – Mie Hamabei. Von der Geburt seiner Tochter hat Fritz nie erfahren. Von Aiko hat er ebenfalls nie wieder gehört. In Europa tobte gerade ein furchtbarer Krieg und alle waren mit Sterben oder Überleben beschäftigt. Zehn Jahre später heiratete Fritz Stender die Hamburgerin Esther Rehagen. Ende 1955 reiste das Ehepaar Fritz und Esther Stender nach Japan, wo sich der junge Arzt im Universitätskrankenhaus von Tokyo in der Klinik für Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie spezialisierte. Am 20 August 1956 kam in diesem Krankenhaus auch die gemeinsame Tochter Katrin Stender zur Welt. Soweit die offizielle Version der Geschichte.
Doch manche Fakten widersprechen sich hier und es gibt noch eine ganz andere Vermutung, darüber, wie sich alles zugetragen haben könnte. Bekannt war zumindest, dass Esther, als Folge von Komplikationen bei der Geburt ihres ersten Sohnes, keine weiteren Kinder in die Welt setzen konnte. Für weitere Verwirrung sorgte ein Gespräch mit der japanischen Schauspielerin Mie Hamabei in Nippon TV. In ihrer Rede zum Puppentag (hinamtsuri) am 20. März 2004 beichtete die Diva, dass sie im Alter von 16 ein ungewolltes Kind zur Welt gebracht hatte. Kurz davor hatte sie ein Angebot für ihre erste Rolle in dem Film „Abschied von Godzilla” bekommen. (Der Film war ein Flop und wurde nie wieder gezeigt). Um ihre Karrierechancen nicht aufs Spiel zu setzen, gab Hamabei das Kind zur Adoption frei. Die neuen Eltern waren Esther und Fritz Stender aus Hamburg. Ob Fritz Stender wusste, dass seine neu erworbene Tochter auch sein leibliches Enkelkind war, ist nicht bekannt. Er sprach kein Wort japanisch und interessierte sich auch sonst nie besonders für seine Tochter. Als Kind hatte er schon ein paar Filme der Godzilla-Reihe im Kino gesehen, doch die japanischen Namen der Schauspieler konnte er sich nie merken. Von der Schauspielerin Mie Hamabei hatte er auch nie gehört. Und dass seine alte Freundin Aiko mit Nachnamen Hamabei hieß, hatte er schon längst vergessen. Es gibt gute Gründe zu der Annahme, dass Esther Verdacht schöpfte und ihrem Mann deshalb das Leben zur Hölle machte. Obwohl manche bösen Zungen behaupten, dass sie dafür keinen konkreten Grund benötigte. Ob bloßer Zufall oder die Erfindung eines geisteskranken Journalisten – die Wahrheit wird für uns wahrscheinlich immer verborgen bleiben. Fest steht aber, dass die kleine Katrin im Alter von zwei Jahren fließend japanisch sprach, wie ihr damaliges Kindermädchen, die Hebamme Arisu Hayato, berichtet. 1956 war Frau Hayato im Krankenhaus von Tokyo tätig, wo sie in das Adoptionsverfahren des deutschen Ehepaars Stender involviert war. Beweise für ihre Geschichte gibt es keine mehr, weil die Geburtsurkunde sowie sämtliche andere Dokumente bei einem Erdbeben am 17. März 1973 verloren gingen. Im Herbst 1956 begleitete Arisu Hayato die Familie Stender mit dem neugeborenen Baby nach Hamburg, um die deutsche Mutter zu unterstützen. Sie wohnten in einer großen Villa mit Goldfischteich und schwarzem Marmorfußboden, erinnert sich Frau Hayato. Weil die kleine Katrin nach zwei Jahren noch immer kein Wort Deutsch sprach, schickten die Stenders die Hebamme zurück nach Japan und engagierten ein junges Kindermädchen aus Kopenhagen. Bald konnte das Kind Geschichten vom Kampf zwischen einem Gott namens Thor und einem Meeresungeheuer namens Midgardschlange erzählen… auf Dänisch. Deutsch sprach das Mädchen noch immer nicht. Erst im Alter von sechs Jahren, als sie in die Schule kam, lernte sie Deutsch und konnte endlich mit ihren Eltern reden. Sie beherrschte sogleich das Lesen und Schreiben, ohne dabei einen einzigen Fehler zu machen.
Fritz und Esther Stender waren sehr stolz und präsentierten ihre Tochter mit entsprechender Attitüde ihren Freunden im Hamburger Golfclub. Heute leidet die 88jährige Hebamme an Demenz, daher kann man sich nur bedingt auf alle Details ihrer Geschichte verlassen. Katrin Stender selbst kann das Ganze auch nicht bestätigen, da sie ihre Kindheit völlig verdrängt hat. Dabei kann man die Wirkung der japanischen Kunst und Kalligrafie auf die junge Katrin Stender nicht ignorieren. Ihre frühe Malerei dekorierte sie mit japanischen Buchstaben, die man später als Texte entziffern konnte. Es waren Liebesbriefe ihrer leiblichen Mutter ( Mie Hamabei ) an ihren leiblichen Vater Tadao Takashima – einen drittklassigen Schauspieler, den Mie bei den Dreharbeiten zu Godzilla getroffen hatte. Dass es sich um Liebesbriefe handelte, konnte Katrin aber nicht wissen, weil sie längst Schriftjapanisch gar nicht beherrschte.
Kurz vor ihrem Abitur litt Katrin an Herzschmerzen. Nach allen möglichen Untersuchungen diagnostizierte der Arzt der Universitätsklinik in Hamburg OIH (Orchidee im Herzen), eine seltene Krankheit, bei der eine Orchidee, meist eine weiße, im Herzen des Patienten wächst und Schmerzen verursacht. Solche Herzschmerzen verschwinden meist nach dem dreißigsten Geburtstag bzw. beim Aufkeimen einer neuen Liebe. Die traditionelle Behandlung verlangt von den Patienten, auf Wasser zu verzichten. Dies kann man mit Alkoholkonsum kompensieren. Eine derartige Behandlung führt oft zum Verblühen der Orchidee. Weil die Schmerzen nach der Behandlung aber nicht nachließen, fuhr Katrin zu einem Spezialisten nach Japan. Professor Saruwatari Masato aus der Koshida-Klinik in Osaka war nicht sehr erfreut. Man kann die Blume zwar durch eine OP aus dem Herzen entfernen, aber ein solcher chirurgischer Eingriff schwächt das Herz und – schlimmer noch – führt oft zu einem TDW (Tod durch Waschbär) im Alter von ca.32 Jahren, und zwar immer an Weihnachten. An Heiligabend, wenn der Patient gerade das Feuer im Kamin vorbereiten will, entdeckt er – so der klassische Verlauf der Erkrankung – einen Waschbär im Schornstein, der sich dort vor der Kälte versteckt. Der Waschbär erschrickt und springt hinaus. Auch der Patient erschrickt und sein Herz, das noch von der OP geschwächt ist, kommt zum Stillstand. Professor Saruwatari Masato hatte stattdessen eine neue Behandlungsmethode mit verblüffenden Ergebnissen entwickelt. Er empfahl seinen Patienten die Blume zu pflegen, statt sie zu vernichten. Diese Behandlung führt zur Verwandlung der Krankheit TDW in TAL (Tod aus Langweile) im Alter von 92 Jahren oder später. Die restliche Behandlung durchlief Katrin Stender in einem Fischerdorf namens Kamakura an der japanischen Ostküste.
Die Einwohner waren alle sehr nett zu ihr und sie schienen Katrin zu erkennen. Als wäre es selbstverständlich, sprachen die Dorfbewohner Japanisch mit ihr, wie man es nur mit sehr vertrauten Menschen tut. Dieses Verhalten brachte Katrin oft in Verlegenheit. Sie zuckte dann nur kurz mit den Schultern, worauf die Japaner in wildes Lachen ausbrachen. Katrin vermutete, dass die Japaner das Zeichen des Schulterzuckens nicht kennen und falsch interpretieren. Aus einem Mangel an Sprachkenntnissen konnte sie aber diese These weder bestätigen noch widerlegen. Im Allgemeinen hatte Katrin Stender den Eindruck, dass die Bewohner des Dorfes mehr wussten, als sie ahnte. Ganz sicher konnte sie sich aber dabei nicht sein. Ein paar Wochen später flog Katrin Stender zurück nach Deutschland. Die Symptome der Krankheit waren verschwunden. Ob die Orchidee sich noch in ihrem Herzen befindet oder nicht, weiß sie bis heute nicht. Sie vermeidet die Anfertigung von Röntgenbildern und weitere Besuche beim Arzt. Irgendwie hat sie aber doch das Gefühl, dass sie eine Blume in ihrem Herzen hat. Aber die verursacht keine Schmerzen mehr. Bei einem Besuch in Israel im Jahr 1996 traf Katrin die legendäre Schauspielerin und Tänzerin Debora Bertonov (1914 – 2010).
Die alte Tanzfanatikerin pflegte immer in ihren Tanzschulen zu schlafen. „Damit ich in der Nacht ein Mal alle vier Stunden zum Tanzen aufstehen kann”, erzählte Bertonov. Diese strenge Disziplin beeindruckte Katrin Stender sehr. Jahre später, als sie sich als Malerin etabliert hatte, ging Katrin oft in ihrem Arbeitskittel voller Farbflecken schlafen. Sie schlief aber immer durch und am nächsten Morgen war sie überrascht, ihr Werk zu sehen: Bilder, bei denen sie noch konzeptionelle Fragen gehabt hatte, waren auf einmal vollständig, und zwar auf eine perfekte Art, die sie selbst nicht besser hätte erreichen können. Wer in aller Welt brach wohl mitten in der Nacht in ihr Studio ein, nur um ein fremdes Bild zu vervollständigen? Um das Rätsel zu lösen engagierte Katrin den Privatdetektiv Adrian Mönch. Mit Hilfe einer versteckten Videokamera im Studio stellte Mönch fest, dass Katrin in der Nacht selbst aufstand und schlafwandlerisch weiter malte. Obwohl sie bei dieser Nachtarbeit geniale Bilder gemalt hatte, war Katrin damit nicht zufrieden. Die Tatsache, dass sie ihr Bestes aus dem Unbewussten heraus schuf, irritierte die Künstlerin sehr. Um dies zu vermeiden hörte sie auf, den Arbeitskittel im Schlaf zu tragen. Doch trotz aller Bemühungen waren ihre Bilder weiterhin am nächsten Morgen fertig gemalt. Eine Lösung hatte sie noch nicht parat. Mit Hilfe der Feldenkrais-Technik, die die Künstlerin aus erster Hand erlernte, übertrug Katrin Stender die ”Stream of Consciousness Writing Method” auf die Malerei. Ähnlich wie in der Literatur werden Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und Reflexionen eines Künstlers subjektiv wiedergegeben, genauso wie sie im Alltag ins menschliche Bewusstsein dringen. Damit wird die Innenwelt des Künstlers kommentarlos präsentiert. Als Folge findet eine Radikalisierung der eigenen Welt statt, die auch das Agieren im Schlaf betrifft. Mit dieser Idee hat Katrin Stender eine ganz neue Wahrnehmung der Kunst in die Welt gebracht, deren Resultate man vom heutigen Standpunkt aus noch nicht einmal erahnen kann. Parallel zu ihren künstlerischen Aktivitäten agiert Katrin auch als Agentin für die ”Drowning Teachers” – eine Band, die sie 1980 in Tibet zum ersten Mal traf. In deren Musik hat die Künstlerin Lust, Schmerz und Humor empfunden, wie sie sie selbst seit Jahrzehnten in ihrer Kunst produziert. Obwohl Katrin Stender von Natur aus keine Mäzenin ist, trug sie wesentlich zum Erfolg der Musiker bei. Unter dem Titel „Kunstweilig” plant die Künstlerin seit drei Jahren eine Gruppen-Ausstellung auf dem Mond, und zwar im südwestlichen Teil des „Meers der Ruhe” – dort wo die ersten Astronauten am 3. Februar 1966 landeten. Maßgeblich für die Entscheidung zu dieser Location waren – genau wie bei den damaligen Astronauten – die Lichtverhältnisse. Bei Landung und Rückflug sollten die Bilder bei voller Belichtung gesehen werden können. Katrin Stender hat viele Tugenden. Geduld war nie eine von ihnen. Ihr ist bekannt, dass eine solche Ausstellung vom heutigen Wissensstand aus nicht sehr realistisch ist. Warten will sie aber auch nicht. Bis die Ingenieure und Wissenschaftler die notwendigen technischen Lösungen für ihre Kunstmission finden, möchte sie die Ausstellung in der „Fabrik der Künste” in Hamburg unterbringen. Diesen Plan will die Künstlerin noch im Herbst 2014 realisieren.